Predigt von Pfarrer Joachim Knab

In unserer Alltagssprache kommt das Wort Segen leider nicht mehr häufig vor. Dagegen schon eher in Redewendungen, die wir von alters her kennen. Wenn ein junges Paar früher zu den Eltern gegangen ist und die Heirat ankündigte, dann wurde ihnen hoffentlich gesagt: „Unseren Segen habt ihr!“ Sprache ist  verräterisch und spricht von dem, was wirklich wichtig ist. Also lauschen wir weiter unserer Sprache: Wir sprechen von einem gesegneten Alter oder einem gesegneten Schlaf oder Appetit. Nicht so gut ist es, wenn der Haussegen schief hängt. Positiv wiederum, wenn ein Projekt abgesegnet wurde und man mit der Arbeit endlich beginnen kann.

Vielleicht ist es heute ganz zeitgemäß, dass das Wort Segen aus der Umgangssprache mehr und mehr verschwindet. Merken die Menschen etwa, dass dieses Wort irgendwie sehr direkt mit Gott und mit dem Glauben zu tun hat? Da wird es schwierig. Gehen wir der Sache nach. Wenn ich das Wort „Segen“ gebrauche, dann weise ich bewusst oder unbewusst auf einen Zusammenhang zwischen meinem Ergehen, also meiner Welt um mich her und einem Gott hin, den ich nicht sehen kann, an den ich vielleicht nicht einmal glaube. Deshalb wehren sich heute sehr viele vermeintlich aufgeklärter Menschen gegen eine solche Grundüberzeugung. Man will dieses Zusammenspiel zwischen einem Gott und dem, was sich um mich herum und in meinem Leben ereignet, ungern zugeben. Irgendwie kann es doch nicht sein – so denken jedenfalls viele - dass ich die Dinge in meinem Leben nicht selbst bestimmen kann. Ich möchte keine Gängelung, ich möchte nicht fremdbestimmt sein. Das ist die eine Seite und sie beschreibt jenen alten Vorgang, den wir schon in der Urgeschichte der Bibel auf vielen Seiten vorfinden. Wir möchten nicht, dass sich ein Gott in unser Leben einmischt.

Es könnte ja dann sein, dass ich ihm Rechenschaft schuldig bin! Ich könnte ja in meiner Lebensgestaltung eingeschränkt sein! Ich müsste mich ja nach jemandem richten! Schon in der Schöpfungsgeschichte wird das zum Problem. Es gibt eine einzige Sache, von der Adam und Eva die Finger lassen sollen. Aber ausgerechnet von dieser verbotenen Frucht muss gegessen werden. Und Kain weiß genau, dass es nicht gut ausgehen wird, wenn er neidisch auf seinen Bruder Abel ist und sich von dieser unseligen Emotion bestimmen lässt. Dennoch überwältigt sie ihn und er erschlägt im Affekt seinen Bruder.

Oder ich denke an Esau, der seinen Erstgeburts-Segen ganz leichtfertig an seinen Bruder Jakob für ein gutes Essen verscherbelt. Manchen ist der Segen einfach nichts wert. Auf der anderen Seite erlebe ich Menschen, die sich nach dem Segen geradezu sehnen. Bis in die tiefsten Schichten ihrer Seele hinein spüren sie natürlich, dass es ohne Segen nicht geht. Nach der Geburt eines Kindes ist der Wunsch nach Segen für das Neugeborene den Eltern sehr wichtig. Dann erinnere ich mich an einen Gottesdienstbesucher, der mir erklärte: Selbst wenn ihn im Gottesdienst gar nichts ansprechen würde, es würde sich dennoch lohnen zu kommen wegen des Segens am Ende des Gottesdienstes. Denn hier bekommt man den Segen geschenkt.

Der Mann hat viel verstanden! Segen kann man nicht machen.  Segen kann man sich nicht erarbeiten! Aber genau das ist für manche das Problem. Es ärgert sie, dass der Segen nicht verfügbar ist, dass er nicht machbar ist, dass ich keinen Zugriff habe und es nicht erzwingen kann. So tragen also viele diesen Zwiespalt in sich: auf der einen Seite sind sie segensvergessen, auf der anderen Seite steckt in ihnen die tiefe Ahnung, dass es ohne Segen nicht geht. Um den Segen doch für sich verfügbar zu machen, kommen man auf dieverrückte Idee, durch Beschwörung und andere magische Formeln doch noch an den Segen zu gelangen. Oder sie hängen sich an einen Geistheiler oder einen faszinierenden Menschen mit angeblicher Segens-Vollmacht. Dieser Weg aber zerstört den Menschen, wie wir verschiedentlich aus der Bibel lernen.

Während im Alten Testament das Segnen eher damit zu tun hat, einem Menschen etwas Gutes zuzusprechen, das ihm dann auch widerfahren soll, ist es im Neuen Testament mit dem Zeichen des Kreuzes verbunden. Segnen kommt von dem lateinischen Wort „signare“ her. Was so viel bedeutet wie „jemanden mit dem Zeichen des Kreuzes zu kennzeichnen“, zu signieren. Wir müssten in Anlehnung an den großen Theologen Paulus im Römerbrief wohl eher sagen: die Kraft des Kreuzes auf diesen Menschen legen! Paulus sagt das nämlich so: „Das Wort vom Kreuz ist eine Dummheit für die, die verloren gehen, aber für die Menschen, die gerettet werden, ist es eine Kraft Gottes.“ Das Zeichen des Kreuzes umschreibt alles Gute, was der Mensch für sein Leben braucht, aber selbst nicht schaffen kann. Es führt in eine gewollte Abhängigkeit von dem guten Geber aller Gaben, dem Schöpfer und von Jesus Christus, unserem Erlöser. Diese Abhängigkeit wird nicht nur hingenommen, sondern wird als Glück erfahren. Es ist dem Gesegneten klar, dass jeder Segen allein von Gott kommen. Das widerspricht jedem magischen Verständnis des Segens, was bedeuten würde, dass wir es mit Riten und Opfern doch noch „in den Griff“ bekommen könnten. Segen ist die Nähe zu Gott, die wir bewusst suchen und den Angriffen von außen auf
unsere Heil und unser Leben entgegensetzen. Diese Nähe dient uns zur Genesung und zum Frieden in unserem Inneren.

Der Herr segne dich! Nirgendwo wird umfassender Segen gespendet. Dabei geht es um so vieles: Ob aus dem Samenkorn Frucht wird, ob aus dem Kind ein gesunder Erwachsener, ob die Arbeit gelingt, die Medizin wirkt, all das hängt vom Segen ab. Ob aus dem Leid noch Gutes erwächst, ob Liebe zu Gott und Lebensweisheit bei einem Menschen reifen darf, wir in unserem Land in Frieden und Freiheit leben können und vor Feinden geschützt sind, all das hängt von dem Segen ab. Überhaupt hängt unser ganzes Leben in den vielfältigsten Formen, angefangen bei der Schöpfung, den Pflanzen und Tieren bis zur kunstvollsten Musik, die ein Mensch komponieren kann, vom Segen Gottes ab.

Die Alternative wäre Fluch, was Gott verhüten möge. Leider ist es uns allerdings nicht klar, dass wir, in dem wir sündigen, den Fluch auf uns zwingen. Wenn wir dies mehr im Blick hätten, würden wir manchmal ganz anders handeln. Segen ist immer Geschenk, das die Mächte des Unheils besiegt. Womit wir wieder beim Kreuz wären. Es gibt keinen anderen Ort auf dieser gefallenen Welt, wo Segen statt Fluch auf einen schuldig gewordenen Menschen wartet. Am Kreuz ist die Vergebung, ein wahrer Segen, weil Christus den Fluch für uns getragen hat. Manche empfinden Segen lediglich als eine emotionale Zuwendung. Aber er ist viel mehr: Gott, unser guter Vater wendet sich in seiner unendlichen Barmherzigkeit dir und mir machtvoll zu. Die Schleusen des Heils öffnen sich und die Zuflüsse des Unheils werden verschlossen. Deshalb sollen wir  Christen als Nachfolger Jesu Segenstifter sein. Schauen wir die Menschen mit dem segnenden Blick an, berühren wir sie mit der segnenden Hand, schenken wir ihnen ein segnendes Wort, sprechen wir ein segnendes Gebet und lassen sie unsere segnende Tat spüren.

Unser ganzes Leben soll nämlich ein Segen sein. So will es Gott.

Amen