In der Bundesrepublik Deutschland ist der Staat nicht das Maß aller Dinge, sondern der Mensch. In unserem Grundgesetz heißt es im berühmten ersten Artikel: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt." Daraus folgt, wie im Artikel zwei des Grundgesetzes festgelegt, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.
Schon mit diesem Auftakt deutet sich an, wie sich unser Staat verstanden wissen will. Zum einen natürlich als demokratischer Rechtsstaat, zum anderen aber auch als Staat, der die Initiative seiner Bürgerinnen und Bürger schätzt. Und da spielt das Prinzip der Subsidiarität eine große Rolle. Unter Subsidiarität (von lateinisch: subsidium = Hilfe, Unterstützung) wird ein rechtliches und politisches Ordnungsprinzip in Kirche, Staat und Gesellschaft verstanden. Es stellt Eigenverantwortung vor staatliches Handeln. Dieses Prinzip ist einst von der Reformierten Synode in Emden entwickelt worden. Dort wurde im Jahre 1571 beschlossen, dass man Provinzial- und Generalsynoden nur Fragen vorlegen solle, die in den Sitzungen der lokalen Versammlungen nicht entschieden werden konnten, oder was alle Gemeinden der Provinz angeht." Das heißt: Es soll nicht alles zentral entschieden werden, sondern möglichst viel vor Ort.
Dieses Prinzip besagt, dass gesellschaftliche Aufgaben bei uns nicht zuerst vom Staat, sondern in eigenverantwortlichem Handeln von Individuen und gesellschaftlichen Gruppierungen gelöst werden sollen. Natürlich müssen sich diese an Recht und Gesetz halten und dürfen den Prinzipien des Grundgesetzes nicht widerstreben. Zu den Grundrechten gehört ausdrücklich die Religions- und Bekenntnisfreiheit. Insofern ist es ein Irrglaube zu meinen, dass alles, was vom Staat komme, „neutral" sei. Der Staat selbst will und darf keine religiösen und weltanschaulichen Inhalte festlegen. Vielmehr gilt, was der ehemalige Bundesverfassungsrichter Ernst-Jürgen Böckenförde im Jahre 1976 prägte: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann."
Das Prinzip der Subsidiarität findet heute breite Anwendung sowohl in der Europäischen Union als auch in der Gestaltung der Rechtsbeziehungen der Bundesrepublik Deutschland als einem föderalen Staatssystem, das die Eigeninitiative und das Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger fördert und fordert.